Nordhessische … Winterexpress

Winterexpress

Abstract

„Eine Zugfahrt, die ist lustig, eine Zugfahrt, die ist schön!“ – An einem Sonntagabend kann man geteilter Meinung darüber sein, es sei denn, man ist (auch) Autor. Aus einem Test des neuen Fernzuganbieters Locomore wurde eine Nerven aufreibende Fahrt voller möglicher Unwägbarkeiten – und zwar doch wieder mit dem Platzhirsch.

Rund 90 Minuten Verspätung – was tun?

Bei diesem Besuch in Nordhessen wurde für die sonntägliche Rückfahrt der neue Fernzuganbieter Locomore ausgesucht, denn mit einem Fahrpreis von 13 Euro eineinhalb Wochen vor Fahrt klang das Angebot mehr als verlockend.

Der routinierte Bahnfahrer checkt am Abfahrtstag nach Möglichkeit schon vor Anreise zum Bahnhof die aktuelle Verkehrslage. In diesem Fall befand sich der Locomore-Zug noch lange in Berlin, als er eigentlich schon in Niedersachsen hätte sein sollen. In Zahlen ausgedrückt: rund 90 Minuten Verspätung bei der Abfahrt und laut elektronischer Auskunft auch bei der Ankunft.

Fahrgastrechte

Bei zu erwartenden Verspätungen von mehr als einer Stunde am Ziel greifen die europäischen Fahrgastrechte im Schienenverkehr, die bei Locomore wie folgt umgesetzt sind:

1. Erstattung oder Weiterreise mit geänderter Streckenführung

  1. Muss vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass bei Ankunft am Zielort gemäß Aufdruck auf der Fahrkarte die Verspätung mehr als 60 Minuten beträgt, so haben Reisende unverzüglich die Wahl zwischen
    1. der Erstattung des vollen Fahrpreises unter den Bedingungen, zu denen er entrichtet wurde, für den Teil oder die Teile der Fahrt, die nicht durchgeführt wurden und für den Teil oder die Teile, die bereits durchgeführt wurden, wenn die Fahrt nach den ursprünglichen Reiseplänen des Reisenden sinnlos geworden ist, ggf. zusammen mit einer Rückfahrt zum ersten Ausgangspunkt bei nächster Gelegenheit;
    2. der Fortsetzung der Fahrt oder der Weiterreise mit geänderter Streckenführung unter vergleichbaren Beförderungsbedingungen bis zum Zielort bei nächster Gelegenheit; oder
    3. der Fortsetzung der Fahrt oder der Weiterreise mit geänderter Streckenführung unter vergleichbaren Beförderungsbedingungen bis zum Zielort zu einem späteren Zeitpunkt nach Wahl des Reisenden.
  2. Die Locomore GmbH & Co. KG weist daraufhin, dass die Fahrkarten der Locomore GmbH & Co. KG in den Zügen anderer Verkehrsunternehmen nicht anerkannt werden. Entscheidet sich ein Reisender nach (1) b) oder (1) c) für die Weiterreise an Bord von Zügen anderer Verkehrsunternehmen, so muss er den für den Erwerb einer Fahrkarte in der gleichen Wagenklasse erforderlichen Betrag zunächst selbst bezahlen und erhält diesen Betrag auf formlosen Antrag an die Locomore GmbH & Co. KG, Wönnichstraße 64, 10317 Berlin oder an fahrgastrechte@locomore.com innerhalb von einem Monat erstattet. Dem formlosen Antrag auf Erstattung ist die für die ersatzweise Weiterbeförderung eigenständig erworbene Fahrkarte eines anderen Verkehrsunternehmens als Beleg beizulegen.

Wer als Reisender nicht die Zeit auf dem „zugigen Bahnhof“ abwarten möchte, entscheidet sich daher für den Punkt (1) b) oder (1) c) – und kauft eine ICE-Fahrkarte Richtung Ziel. Die günstigere (Weg und Geld) Strecke scheidet dabei als „Plan B“ direkt aus, da auch dort 20 bis 30 Minuten Verspätung enthalten sind.

Cliff Hanger: Tatsächliche Umsetzung zeigt sich erst

Wie die Geschichte mit den Fahrgastrechten ausgeht, wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen, wenn die Ansprüche geltend gemacht und die Stellungnahme des Verkehrsunternehmens vorliegt. Details sind dann hier zu lesen.

Blick von der Berliner Brücke in Kassel auf die Gleise Richtung Bahnhof Wilhelmshöhe
Im Dunkeln und Kalten allein auf leere Gleise blickend – zum Glück nur von der Berliner Brücke in Kassel und nicht am Bahnsteig.

Am Bahnhof: Die nächsten Überraschungen

Die als „Plan B“ herausgesuchte Verbindung scheidet am Bahnhof angekommen direkt aus, da diese mit 25 Minuten Verspätung angegeben ist. Laut elektronischer Auskunft sind es allerdings 20 bis 30 Minuten. Also wird ein späterer ICE herausgesucht und gebucht – allerdings mit dem Hinweis, dass es auch hier zu Verspätungen kommen kann, wegen eines Notarzteinsatzes am Gleis. Falls der Zug doch pünktlich ist, bleiben unterwegs drei Minuten zum Umstieg zwischen vier Gleisen oder eine halbe Stunde warten auf die nächste S-Bahn …

Tatsächlich fährt der ICE erst kurze Zeit später ab, da „ein Bahnmitarbeiter sein Portmonee im Zug verloren hat“.

Es gibt Tage, da scheint der Reisende den Jackpot des „Bordentertainment-Programms“ gebucht zu haben …