Nordhessische … Bärendienst für den Rechtsstaat

Bärendienst für den Rechtsstaat

Abstract

Anlässlich des 50. Todestags von Benno Ohnesorg. // Es mag oppurtun erscheinen den Rechtsstaat mit dem Knüppel in der Hand zu verteidigen, da Gewalt jedes Anliegen illegitimiert, aber der Flurschaden für die Gesellschaft ist immens. Wer friedliche Menschen zu Gewalt anstachelt oder sie „niederknüppeln“ lässt, erweist dem Rechtsstaat letztlich einen Bärendienst.

Der Tod Benno Ohnesorgs

Vor 50 Jahren, am 2. Juni 1967, wurde der West-Berliner Student Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration gegen den Besuch des iranischen Schahs erschossen. Der Tatort ist ein Hinterhof in der Nähe der Berliner Oper. (Die Oper ist im Kartenausschnitt oben, der Tatort unten – jeweils mittig.) Der Schütze ist der Polizist und Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras. Gegen den Besuch des Schahs gab es bereits vormittags Demonstrationen in Berlin, bei denen aus „Jubelpersern“ „Prügelperser“ wurden, wie es in der noch bis zum 5. Juni 2017 in der ARD-Mediathek zu findenden Reportage Wie starb Benno Ohnesorg? heißt.

Neben der schockierenden Todesumstände und der mangelhaften Aufklärung – allein das ist schon ein fester Tritt in den Allerwertesten des Rechtsstaats – beleuchtet die Reportage auch Hintergründe der vorhergehenden Eskalationen an jenem Tag. Vor dem Schöneberger Rathaus prügelten iranische Anhänger des Schahs unter den Augen der Polizei Demonstranten nieder. Später vor der Oper wurde in der Menge das Gerücht gestreut, dass ein Polizist erstochen worden sei. Laut der Reportage gab es einen Steinwurf von einem von der Polizei abgesperrten Bauplatz gegen einen Beamten, in dessen Folge Knüppel frei gegeben wurden.

Im folgenden Chaos fiel auch der im Endeffekt tödliche Schuss und ein jahrzehntelanger Justizskandal begann. Noch in der Tatnacht wurden Spuren verwischt, im Anschluss verhinderte ein Korpsgeist der beteiligten Beamten, das Verschwinden von Beweisen und der Umgang mit Zeugenaussagen die Aufklärung der Tat.

Nützliche Eskalation

Unabhängig davon, was letztlich die Ausschreitungen zwischen Schahgegnern und der westberliner Polizei ausgelöst hat, so waren sie doch nützlich, die demonstrierenden Studenten als „Krawallmacher“ zu bezeichnen und ihre legitimen Anliegen in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Das lässt sich auch an anderen Krawallen erkennen, wenn Demonstrationen oder Polizeieinsätze aus dem Ruder laufen:

  • Die linksterroristische Rote Armee Fraktion erhielt ihre erste „Ausrüstung“ von einem V-Mann des Verfassungsschutzes. Diese Radikalisierung spaltete die linke Studentenbewegung und ermöglichte später die Durchsetzung von weit reichenden Sicherheits- und Überwachungsgesetzen, die sich ohne die RAF nicht hätten begründen lassen. Auch wenn die Terroristen das vielleicht nicht im Sinn hatten, waren sie doch nützliche Idioten der Sicherheitspolitik.
  • Der Protest gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren 2006 in Hessen verlief teils konstruktiv, in Südhessen teils aus dem Ruder. Letzteres kostete einige Sympathien und spielte der hessischen Landesregierung in die Hände. Als gegen das Gesetz eine Verfassungsklage auf den Weg gebracht wurde, konnte dagegen nicht mehr „mit der Härte des Rechtsstaats“ vorgegangen werden. Die verantwortliche Landesregierung wird bei der nächsten Landtagswahl abgewählt.
  • Die Proteste gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm behinderten die Berichterstattung sowohl über den Gipfel an sich als auch die alternativen Veranstaltungen. Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers wirft zusätzliche Fragen auf.
  • Monatelang demonstrierten Stuttgarter Bürger friedlich und inhaltlich gegen das Bauprojekt Stuttgart 21. Dann kommt es zu einem Polizeieinsatz, in dessen Folge einem Demonstranten mit einem Wasserwerfer die Augen ausgeschossen werden. Polizisten vermuten später, dass die Eskalation herbeigeführt worden sein könnte. Die kritisierten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten sehen nicht nur martialisch aus, sondern sind auch berühmt-berüchtigt. Den „Goldenen Polizeiknüppel“ wollte sich die baden-württembergische Landesregierung nicht überreichen lassen, dafür wurde sie anschließend abgewählt.

Alle genannten Beispiele haben gemein, dass die Eskalation zumindest für eine Partei sehr nützlich war – im Falle von „Polizeigewalt“ oft der Innenpolitik dahinter.

Kollateralschaden

Unabhängig von Recht haben oder bekommen, erweist Eskalation, vor allem, wenn sie von der (Bereitschafts-) Polizei ausgeht, dem Rechtsstaat einen Bärendienst. Der betroffene Bürger verliert nämlich das Vertrauen in Recht und Ordnung sowie den „Freund und Helfer“. Falsch verstandener Korpsgeist, Gegenanzeigen wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ und darauf folgende Einstellung von Verfahren, oder der überzogene Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray lassen den Menschen in Uniform oder Kampfanzug nicht als Freund erscheinen. Sie untergraben das Vertrauen in die Polizei und den Rechtsstaat. Dieser Kollateralschaden ist nicht nur gesellschaftlich fatal, sondern gerade auch für die Polizei, denn dort arbeiten sehr viele Beamte, die tatsächlich Freunde und Helfer sind. Und worauf soll sich der Bürger noch verlassen können, wenn nicht auf einen funktionierenden Rechtsstaat?