Nordhessische … „Narzisstisch gestörte Wutbürger“

„Narzisstisch gestörte Wutbürger“

Abstract

Das Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus hatte am Donnerstag zur Veranstaltung AfD und die absolute Meinung eingeladen, um dem Phänomen (Rechts-) Populismus medial auf den Grund zu gehen. David Schneider, der für die Berliner Zeitschrift bahamas schreibt, sprach und diskutierte dabei nicht nur über Populismus und die neue Rechte, sondern auch über das linke Gegenstück des „AfDeppen“. Das Fazit des Abends: Der öffentliche „Diskurs“ wird heute zu großen Teilen von narzisstisch gestörten Wutbürgern bestimmt. // Eine mit eigenen Gedanken angereicherte Zusammenfassung der Veranstaltung.

Populistische Kleinpartei

Mit diesem Schlagwort – ursprünglich eine Eigenbeschreibung der Partei Die PARTEI – lässt sich auch sehr gut die so genannte „Alternative für Deutschland“, kurz AfD, charakterisieren. Angesichts der „Wahlerfolge“ von im Schnitt der letzten Zeit rund 10 bis 15 Prozent ist die Bezeichnung als „Kleinpartei“ gerechtfertigt, auch wenn der mediale Rummel etwas Anderes vermuten lassen könnte. Vom objektiven politischen Einfluss her ist die mediale Präsens dieser Partei jedenfalls deutlich überdurchschnittlich. Berücksicht man die Tatsache, dass diese Partei drei Jahre lang ohne Wahlprogramm ausgekommen ist und trotzdem „Agenda-Setting“ betreiben konnte, ist auch die Bezeichnung als populistisch klar – und der Verweis auf Die PARTEI. Die Politiker um Martin Sonneborn waren in Deutschland die ersten, die den Typus der „populistischen Kleinpartei“ ohne festes Programm propagiert haben. Der Wahlkampfslogan dazu lautet: Inhalte überwinden!

Genau das macht auch die AfD. Bei ihr heißt das laut David Schneider dann, dass „das Volk den Willen der Partei gestalten soll, und nicht umgekehrt.“

Narzissmus

„Heimat“ als vermeintlichter Rückzugsort

In einer immer komplizierter erscheinenden Welt ist der Wunsch nach einfachen Antworten ausgeprägter – auch wenn klar sein sollte, dass es für komplizierte Zusammenhänge nicht immer einfache Antworten geben kann. Populisten versprechen zwar einfache Antworten, doch können es keine Lösungen sein. Oft sind diese „Antworten“ das Ausblenden von Komplexität durch einen Rückzug in ein kleines, überschaubares Gebiet. Bei vielen Rechtspopulisten heißt das dann „Heimat“ und „Familie“. Diesen eingeschränkten Horizont beschreibt Schneider als Lebensniederlage Heimat. Letztlich handelt es sich dabei um eine selbstverschuldete Unmündigkeit. Indem man seinen Horizont nur noch bis zum nächsten Kirchturm zieht, überlässt man den Weitblick Anderen, und damit einer neuen „Elite“. Nur warum soll ausgerechnet diese „Elite“ klüger und besser sein, wenn sie vorher praktisch „Dummheit“ propagiert?

Die Dill in Herborn während des Hessentags 2016
Ein Ausdruck von „Heimat“ ist der Hessentag, hier 2016 in Herborn. Er ist allerdings auch ein Fest der Integration – und damit eines anderen Heimat-Begriffs als dem der Populisten.

Ist die Welt wirklich komplizierter geworden?

Im Gegensatz zu früheren Generationen haben die Menschen in Industrienationen heutzutage viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten zur Lebensgestaltung. Diese Fülle an Optionen des Konsums, aber auch der Selbstverwirklichung, kann tatsächlich einen Anpassungsdruck implizieren. Der moderne Mensch kann so schnell „unter Stress stehen“ keinen „falschen“ Lebensweg einzuschlagen. Dabei ist dies angesichts der tatsächlichen Freiheiten eigentlich paradox. Denn man kann und sollte diese zur Selbstverwirklichung nutzen. Da Freiheit allerdings Verantwortung bedeutet, ist beides mit „Arbeit“ verbunden. Dagegen erscheint das Versprechen nach „Heimat“ wie ein Versprechen nach „Stressabwehr“ – und an dieser Stelle lässt der so genannte „Wutbürger“ grüßen.

„Die Mauer muss weg“

Diese „Heimat“ dient als „Schutzwall“ für die eigene Weltanschauung und jeder Versuch, den Horizont von außen zu erweitern erscheint wie ein Angriff auf die innere „Festung“. Das erklärt auch die Hysterie, die mittlerweile in vielen Diskussionen festzustellen ist: Contra-Argumente werden als Verletzung der Persönlichkeit aufgefasst. Und dabei spielt es kaum eine Rolle, ob man den Diskurs mit AfD-Anhängern oder Netzfeministen sucht. Die eigene Meinung soll als so genannter „safe space“ bitteschön nicht in Frage gestellt werden. Das schließt allerdings eine Meinungsbildung von vorherein aus. Oder nach Schneider mit den Worten der AfD: Ändern sie nicht ihre Meinung, ändern sie die Politik!

Burgruine Hohenneuffen
Fast uneinnehmbar wie die eigene „Festung“: Die ehemalige Burg Hohenneuffen in der Nähe von Stuttgart.

Wie später an dem Abend zur Sprache kam, blockiert diese „schwarz-weiße“ Festung darüber hinaus den Diskurs über wichtige Themen, indem Contra-Positionen direkt als „unmoralisch“ abgestempelt werden und somit nicht thematisiert werden (können). Das führt dann dazu, dass bestimmte Felder kampflos den Populisten überlassen werden. So sind Diskussionen über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, islamistischen Terror oder den Nahostkonflikt „Minenfelder“ – für Linke, während Rechte diese Themen ungeniert für ihre Propaganda ausschlachten.

Globaler Stammtisch

Seiner Ansicht nach nimmt dieses Phänomen der narzisstisch gestörten Wutbürger zur Zeit immer weiter zu. Denn während diese früher allein mit geballter Faust „am Stammtisch saßen“, können sie sich per Internet vernetzten und mit Gleichgesinnten hinter ihrem eingeschränkten Horizont bleiben. Die Aufmerksamkeitsökonomie billigt dabei demjenigen die meiste Aufmerksamkeit zu, der am lautesten schreit, verbale Kraftmeierei ist alles.

Ein „Aber“

Neben dem Vergleich zwischen politischen Einfluss und medialer Fläche für Populisten, der eine stark überproportionale mediale Darstellung offenbart, gibt es noch einen weiteren Punkt, der durchaus Hoffnung machen kann: Der Typus des narzisstisch gestörten Wutbürgers kann sich nur schwer in (politische) Hierarchien einordnen. Zudem hapert es wie beschrieben an der freien Meinungsbildung, was in einer Gruppe zwangsläufig zu Konflikten mit Andersdenkenden führt. Daraus resultierender Streit könnte die Handlungsfähigkeit einer politischen Gruppierung drastisch beeinträchtigen.

Extremismus gegen Extremisten

Im Umgang mit den neuen Rechten scheinen es sich viele Linke bis Bürgerliche zu einfach zu machen, indem sie dem Populismus keine Argumente entgegen stellen, sondern ihrerseits Hysterie. Sprüche wie strengt euch an, sonst werdet ihr wie die Leute von der AfD dürften dabei wenig zielführend sein, da sie beim Adressaten vermutlich gar nicht verfangen. Zudem verweist David Schneider auf weitere Beispiele, die zwar in der eigenen „Filterblase“ für kollektives Schulterklopfen sorgen – aber auch beim politischen bzw. gesellschaftlichen Gegner: So äußerten sich Linke nach einem Tortenangriff (Stichwort tortaler Krieg) gegenüber der AfD-Politikerin Beatrix von Storch eindeutig sexistisch. Auch hier stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit, dem reaktionären Frauenbild der AfD ausgerechnet Sexismus entgegen zu stellen.

„Opferkult“

Zudem stützen Aktionen wie diese nur den „Opferkult“ der Extremisten. Und dieser ist sehr wichtig zur Identitätsbildung und für den Zusammenhalt der Gruppe: Als „David“ kämpft es sich moralisch überlegener gegen einen vermeintlichten „Goliath“. An dieser Stelle (und nicht nur hier) nehmen sich dann die neuen Rechten auch nicht viel gegenüber anderen Gruppierungen mit einem angeblichen moralischen Anspruch, wie z. B. Islamisten oder bestimmte linke Strömungen.

Politischer Extremismus

Trotzige Ostalgie

Auftreten und Politik der AfD müsse man laut Schneider innerhalb Deutschlands differenziert betrachten. Gerade in Ostdeutschland sei die Partei eine starke Konkurrenz zur Linkspartei, weil es inhaltliche Überschneidungen zwischen beiden gebe – wobei die AfD eine trotzige Ostalgie als verklärte „Heimat“ entschlossener vertrete als die Beinahe-Volkspartei Die Linke. Zudem trifft die AfD dort teilweise auf einen pogromartigen Nährboden.

Felsgruppe »The Nobbies« auf Philip Island im australischen Bundesstaat Victoria
Ein sehr weiter Horizont, der viel Freiheit verspricht – hier The Nobbies auf der Melbourne vorgelagerten Philip Island im australischen Bundesstaat Victoria.

Nationalismus

Ob die AfD einen nationalistischen Nährboden „düngt“, und auch, ob die AfD eigentlich nationalistisch ist, hängt abschließend von der Definition ab. Während Heimat zutiefst provinziell ist, der Horizont also tendenziell bis zum nächsten Kirchturm reicht, ist die Nation ein übergeordnetes Gebilde. In Deutschland taucht die Nation zuerst 1848 in der bürgerlichen Revolution auf (was auch in der ersten Strophe des Lieds der Deutschen besungen wird). Damit sind allerdings Aspekte verbunden, die den Vorstellungen der Populisten widersprechen, wie bspw. Bürgerlichkeit, Freiheit und parlamentarische Demokratie. Und der so genannte „Party-Patriotismus“ im Rahmen internationaler Sportwettbewerbe lässt zwar das schwarz-rot-goldene Herz vermeintlicher Nationalisten höher schlagen, spiegelt allerdings auch die Vielfalt der bundesdeutschen Gesellschaft wider: So tappt ein Alexander Gauland von der AfD in die Falle, sich negativ über den Deutschen Christen Jérôme Boateng zu äußern. Dass dieser als Fußballer beim FC Bayern München und in der deutschen Nationalmannschaft auch noch fast ein „Heiliger“ ist, unterstreicht nur den grandiosen Fehler des AfD-Politikers: Man torpediert (und überschätze) nicht den „Party-Patriotismus“.