Nordhessische … Analyse zur Hochschulwahl: K(aum) eine Überraschung

Analyse zur Hochschulwahl: K(aum) eine Überraschung

Abstract

Die Studierenden der Universität Kassel haben gewählt und ihre Wahl fiel aus Sicht des ehemaligen StuPa-Präsidenten und langjährigen Gremienmitglieds Robert Bienert nicht unerwartet aus. Interessanterweise „enttäuschten“ sowohl die RAL als auch der RCDS die Erwartungen einiger Hochschulpolitiker bezüglich der Nachwirkungen des Bildungsstreiks. Klarer Verlierer der Wahl ist trotzdem die verfasste Studierendenschaft, die nun nur noch von rund 26% der Kommilitonen getragen wird.

Im Verlauf des gestrigen Abends machten erste Zahlen die Runde, an denen sich bis auf das Ergebnis der Senatswahl sehr wahrscheinlich nichts mehr ändern wird; auf Grund des Abstands von nur einer Stimme zwischen RCDS und Linke.SDS werden die Stimmzettel für die studentischen Vertreter im Senat der Hochschule noch einmal ausgezählt. Ein Ergebnis steht jetzt allerdings schon fest:

Klarer Wahlverlierer: Studentische Mitbestimmung

Trotz eines Anwachsens der Studierendenzahlen um über 1.500 auf mehr als 19.000 Wahlberechtigte, gingen dieses Jahr 250 Kommilitonen weniger zur Wahl. Damit stürzte die Wahlbeteiligung von fast 30 % auf rund 26 % ab. Es sah dieses Jahr schon so aus, als würde die wichtige 25%-Hürde (siehe § 76 (4) HSchulG) nicht übersprungen, aber nächstes Jahr wird das ein ernsthaftes Problem, wenn man sich den Trend anschaut. Die Frage, die sich die gesamte verfasste Studierendenschaft 2010 stellen muss, lautet: Wie können wir unsere Kommilitonen besser bzw. überhaupt erreichen?

Wie zum Beweis meines Eindrucks, dass ein Großteil der Gremientätigkeit von den Studierenden gar nicht wahrgenommen wird, obwohl sie von den Ergebnissen häufig profitieren, kommentiert ein „Frank“ den zweiten Tag der Wahl. Die angesprochenen Punkte sind aus Sicht von jemandem, der sich in der Hochschulpolitik auskennt, klare Sachen, zeigen aber, wie sie der normale Studierende wahrnimmt. Sowohl die politischen Alternativen als auch die tatsächlichen Stellschrauben der Studierendenschaft scheinen nicht transparent genug zu sein. Nur wie viel der Studierende über etwas abstimmen, von dem er keine Kenntnis besitzt?

Gewinner und Verlierer hauptsächlich schon vorher abzusehen

Die Hochschulgruppen, die in ihrer jeweiligen Zielgruppe gut mobilisieren konnten, dürfen sich über satte Zugewinne freuen: Allen voran sind es die Grünen, die mit starken Themen und einer guten Öffentlichkeitsarbeit ihr Vorjahresergebnis deutlich verbessern konnten, sowohl für den Senat als auch das Studierendenparlament gaben 50 % mehr Wähler als 2009 ihre Stimme dieser Hochschulgruppe. Ein zugespitzter Artikel in der AStA-Zeitung medium² über die geringe Teilnahme am Bildungsstreik hat sich dabei nicht im Wahlergebnis niedergeschlagen.

Dass mit den Piraten auf dem Campus zu rechnen war, stand bereits im Sommer fest. Ich persönliche habe dieser Hochschulgruppe angesichts des monothematischen Wahlkampfs bis zu zwei Sitze im StuPa zugetraut, schließlich sind es dann doch sogar drei geworden. Man muss dazu sagen, dass Berichten zu Folge die Piraten gerade in der Informatik auf Stimmenfang gegangen sein sollen, ihre Zielgruppe also identifiziert hatten. Zudem sind sie nicht unvorbereitet in die Hochschulpolitik: Etliche Mitglieder sind auch auf lokaler Ebene aktiv, außerdem waren Vertreter im Wintersemester bei jeder StuPa-Sitzung als Gäste anwesend und haben „Parlamentsluft geschnuppert“.

Die Jusos haben hingegen die Quittung für ihre dünne Personaldecke und Aktivität auf dem Campus bekommen: Sie verloren ⅓ der Stimmen und damit einen Sitz im Senat sowie drei Sitze im StuPa. Das Vorjahresergebnis mit 45 % und elf Sitzen war für diese Hochschulgruppe nicht zu schultern, was sich sowohl in der Anwesenheit im StuPa als auch bei der Suche nach AStA-Referenten zeigte. Obwohl mit Abstand stärkste Fraktion damals, stellte sie nur drei Referenten, während Neue Liste und Grüne mit geteilten Referaten die AStA-Mehrheit besaßen. Die elf Sitze waren nur bei der konstituierenden Sitzung alle besetzt und das mit tatkräftiger Hilfe von Nachrückern. In der auslaufenden Legislaturperiode ließ die Schwäche der Jusos sogar einen Haushalt platzen. Und auch auf dem Campus war die Hochschulgruppe kaum vertreten, inhaltlich konnten die Grünen ihnen einige Themen abnehmen.

Ein großes Fragezeichen stand bis zuletzt hinter der Wahlteilnahme der Neuen Liste. Es gab Gerüchte über ein Ende dieser Hochschulgruppe, selbst Mitglieder wussten nicht, wohin die Reise geht. Auf dem Campus hat man sie im Gegensatz zu den Jahren davor kaum wahrgenommen, während sie im AStA solide Arbeit leisteten; der große Erfolg des studentischen Kulturzentrums K19 geht 2009 maßgeblich auf das Konto ihrer AStA-Referenten, von denen einige nun bei den Grünen aktiv sind. Die Unsicherheit über die Neue Liste dürfte sich auch beim Wähler gezeigt haben, der meiner Einschätzung nach stattdessen Piraten oder Grüne gewählt hat.

Bildungsstreik mobilisierte fast nur Unterstützer

Interessanterweise „enttäuschten“ sowohl die RAL als auch der RCDS die Erwartungen einiger Hochschulpolitiker bezüglich der Nachwirkungen des Bildungsstreiks: Während die RAL ihren Zuspruch fast verdoppelte, konnten die Konservativen kaum Kapital aus dem Ärger über besetzte Hörsäle schlagen. Anscheinend sind viele der Kommilitonen, deren Vorlesungen damals ausfielen, gar nicht erst zur Wahl gegangen, obwohl der RCDS versuchte, als einzige Hochschulgruppe, die sich gegen den Bildungsstreik positionierte, damit zu punkten. Überraschenderweise reichte der geringe Zuwachs von 100 Stimmen für den Senat, dort einen Sitz zu holen, sofern die Nachzählung nichts Anderes ergibt. Aber insgesamt gibt es für den RCDS an der „Traditionsuni der 1968er“ kein Land zu gewinnen, solange die links orientierten Listen in der Summe Verbesserungen für die Studierenden erwirken.

Der Revolutionär Antifaschistischen Liste, kurz RAL, gaben hingegen fast doppelt so viele Studierende wie im Vorjahr ihre Stimme. Damit dürfte sich es sich als vorteilhaft erwiesen haben, dass die Kritische Universität Kassel (kuk) nicht auch mit einer eigenen Liste zur Wahl angetreten ist, sondern hätten sich beide möglicherweise kannibalisiert. Stattdessen haben wohl viele der kuk-Mitglieder die RAL gewählt, weil der Stimmenzuwachs kaum mit konstruktiver Parlamentsarbeit oder eine große Mehrheit ansprechende Veranstaltungen erklärt werden kann. Allerdings hat auch diese Liste – am äußerst linken Rand des politischen Spektrums verortet – eine klar definierte Zielgruppe und tritt sehr aktiv auf dem Campus auf.

Als stabile und verlässliche Größe in der Hochschulpolitik hat sich die Liste Witzenhausen etabliert. Mit dem Fokus auf diesen Außenstandort holt diese Gruppierung regelmäßig einen Sitz im StuPa, das sogar einmal im Jahr dort tagt. Solange es diesen Standort gibt, wird man ihn auch am Holländischen Platz berücksichtigen müssen, aber auch als konstruktiven Partner zu schätzen wissen.

Robert Bienert

Der Autor war bis Dezember 2009 für die Juso-Hochschulgruppe im Studentenparlament.