Nordhessische … Film-Rezension: Goodnight Nobody

Film-Rezension: Goodnight Nobody

Abstract

Im Rahmen des 27. Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest wurde am Mittwoch Abend im Gloria-Kino Jacqueline Zünds Film »Goodnight Nobody« gezeigt. Vier schlaflose Personen von vier verschiedenen Kontinenten und ihre Wege durch die Nacht werden darin porträtiert. Eine ausgeschlafene Film-Rezension von Robert Bienert.

Der Film wird mit „Ich wünsche ihnen eine gute Nacht und einen erholsamen Schlaf“ anmoderiert und im Verlaufe des Films zeigt ein Blick durch die für einen späten Mittwoch Abend (Beginn 22:15 Uhr, Filmlänge 77 Minuten) gut gefüllten Sesselreihen des Gloria-Kinos so manchen Gast beim sehr entspannten Sitzliegen oder Kopfanlegen bei der Nachbarin. Die Einstellungen von Porträts und die dabei gewählte Musik lassen eine mögliche Absicht der Regisseurin vermuten. Gleichwohl liegt in der um gefühlt 4 Uhr morgens erzählten Geschichte genug Spannung, um hellwach zu bleiben und die Schlaflosen „Nobodies“ Fedir, Jeremie, Mila und Lin durch die Nacht zu begleiten. Der Nachhauseweg durch die dunkle und verregnete Kasseler Nacht beweist die passende Übereinstimmung von Filmthema und Setting in der Fuldametropole.

Im Auto in den Sonnenaufgang

Der Filmtitel ist Bestandteil eines Gedichts, welches Mila aus Arizona im Auto sitzend zum Sonnenaufgang rezitiert: „Goodnight moon, goodnight stars, … goodnight nobody …“ Die junge Frau ist arbeitslos und „hat daher doppelt so viel Zeit zu füllen“, wie sie uns erzählt. Die Rastlose füllt die Zeit mit Filmen, beim Bowling in Supermärkten und hauptsächlich im Auto – bis sie „keine Lust mehr hat oder an einem schönen Ort“ ist. Als Kind wartete sie, bis alle schliefen um dann in der Nacht mit ihren Tieren zu spielen. Dass das nicht normal sei, habe sie später gemerkt.

Über das Schlafen machen sich die wenigsten Menschen Gedanken, weil man dafür nichts tun muss, wie die junge Frau in schwarz mit geschminkten Augenringen feststellt. Jetzt schaut sie nachts Filme, damit der Ton die Stille vertreibt und die Zeit schneller vergeht. Der Zuschauer erfährt dabei, dass nach drei bis vier schlaflosen Nächten selbst die Fernbedienung nicht mehr einfach zu handhaben sei. Oder Mila stellt beladene Einkaufswagen mitten im Supermarkt ab. Doch ihr eigentlicher nächtlicher Ort ist die Straße … bis in den Sonnenaufgang.

Der schlaflose Prominente

Fedir aus der Ukraine, mit dem der Film beginnt, kann nachts nicht schlafen. Nach einer Nachtschicht, die für seine Kollegen erschöpfend, für ihn weniger ermüdend war, wird er durch den Bericht eines Journalisten zum Prominenten. Der Mann, der wahlweise „seit 7“ oder gar „seit 20 Jahren“ nicht mehr geschlafen habe, bekomme „von Schlaftabletten Kopfschmerzen“, wie die weltweite Boulevard-Presse schreibt. Doch der Rummel ist nichts für ihn, der sich mit seiner Schlaflosigkeit arrangiert hat – so wie auch seine Familie. Um Reporter auf Distanz zu halten, verlange er nun Honorar, wie der Zuschauer erfährt.

Durchs Lernen zur Schlaflosigkeit zur Denkblockade

Lin ist Krankenschwester in Shanghai und immer fleißig am Lernen und Arbeiten. Ihre Eltern sind beides Ärzte, die sich allerdings häufig streiten. Als Schülerin bemerkt Lin den Stolz ihrer Eltern auf die Leistungen des Kindes – und sie beginnt hart an sich zu arbeiten. Der Zuschauer sieht sie nach der Spätschicht nach Hause fahren, mitten in der Nacht Wäsche aufhängen und vor allem für ihre Ausbildung lernen. Das viele Lernen führt allerdings zur Schlaflosigkeit, der Schlafmangel beeinträchtigt das Lernen, „ein Teufelskreis“. Ausgebrannt liegt Lin im Bett und versucht sich das Schlafen einzureden, durchmischt mit Handlungsabläufen aus dem Krankenhaus, bis sie den Zuschauer wieder durch ihre Wohnung oder das nächtliche Shanghai führt. Jacqueline Zünd arbeitet dabei sehr viel mit dem Zeitraffer, was das Leben der Metropole eindrucksvoll visualisiert. Lin hingegen wollte eigentlich Tänzerin werden, bis sie in diese Stadt kam und der Zuschauer merkt sehr schnell, dass die niemals schlafende Stadt ein Grund für ihre Schlaflosigkeit ist. Ein weiterer Grund sind wiederum ihre Eltern: Wenn sie sich stritten, stand Lin auf, ging zu ihnen und wusch das verweinte Gesicht ihrer Mutter, während ihr temperamentvoller Vater sie „liebevoll auffordete, wieder Schlafen zu gehen.“

Regisseur der Nacht

Jeremie arbeitet als Nachtwächter in einem Theater „in seinem Ghetto“ in Burkina Faso. Er ist „eigentlich immer da“ und hat sich einen Raum mit alten Requisiten hergerichtet. In einem weiteren Raum hat er Zeitungsausschnitte und Fotos an die Wand geklebt, darunter eine Erinnerung an seine ehemalige Freundin und ein Auge – „mein Auge, weil ich es nie schließe.“ Nach einer Sage wechselten nachts die Bäume ihren Standort und kehrten gegen 4 Uhr morgens wieder an ihren Platz zurück, wie ein Baum „in seinem Ghetto“.

Doch in der Nacht gehört den Katzen und ihm auch die Bühne des Theaters, dessen Schauspieler er alle kennt, weil er sie alle abends gehen sieht. Nach der Arbeit setzt sich Jeremie auf die Bühne, betrachtet „seinen Sternhimmel“ und ist Regisseur im Theater, das die Katzen aufführen. Die Rollenverteilung steht, wie auch der Katzenfreund bestätigen wird: Es gibt Bühnenarbeiter, Beleuchter, Regisseure, Schauspieler, das Orchester, … und nicht nur ein Kater spielt dabei die Hauptrolle, sondern ist auch gleichzeitig Jeremies Alter Ego auf der Bühne. Die Nachtwächter von Gebäuden in der Nachbarschaft schlafen derweil und sind noch nicht einmal Statisten, sondern nur Kulisse.